Befindlichkeit vs. Emotion

Befindlichkeiten sind wie Wetter – sie wechseln. Emotionen sind wie das Klima – sie weisen auf grundsätzliche Bedingungen hin. Eine bewusste Führungskraft erkennt den Unterschied und nutzt beide als Steuerungsinstrumente.

Führung bedeutet, sowohl Emotionen als auch Stimmungen wahrzunehmen und sinnvoll zu steuern. Doch wo liegt der Unterschied?

Befindlichkeiten (Stimmungen)

meist flüchtig, situationsabhängig und beeinflussen kurzfristig unser Verhalten

Emotionen

intensiver, haben klare Auslöser, tragen eine Botschaft, weisen oft auf tieferliegende Bedürfnisse oder Probleme hin

Der kluge Umgang mit beidem macht den Unterschied zwischen reaktivem und strategischem Führen.

Befindlichkeit und Emotion im Holacracy-Ansatz

Holacracy, ein auf Selbstorganisation basierendes Management-System, nutzt den Begriff Befindlichkeit im Rahmen seiner Meeting-Praktiken. Jedes formale Holacracy-Meeting beginnt mit einer Check-in-Runde, die im Wesentlichen einer „Befindlichkeitsrunde“ entspricht​. Dabei teilen alle Anwesenden reihum kurz mit, was sie gerade beschäftigt oder wie ihre Stimmung ist – und lassen dieses Statement dann so stehen, ohne Diskussion oder Rückfrage​. Typische Check-in-Beiträge können sein: „Ich bin ziemlich genervt, dass Simon schon wieder zu spät gekommen ist“, „Ich hab nur 4 Stunden geschlafen und bin heute ziemlich dünnhäutig“ oder „Ich bin total aufgeregt, dass wir heute ein neues Projekt starten“.

Diese Praxis soll dazu dienen, Befindlichkeiten Raum zu geben, damit sie als Ablenkung aus dem Weg geräumt sind. Nach der kurzen Runde weiß jeder, in welcher Gemütslage die anderen sind, und man kann sich besser auf die Agenda konzentrieren​. Holacracy geht davon aus, dass unbeachtete Befindlichkeiten sonst „unter der Oberfläche schwelen“ und die Konzentration stören könnten – gemäß dem Motto: Was man unterdrückt, hält sich nur umso hartnäckiger​. Indem man es ausspricht, verliert es meist an Dringlichkeit und „zieht vorbei“, sodass das Meeting fokussierter ablaufen kann.

Wichtig: Nach dem Check-in wird in Holacracy-Meetings nicht weiter über die genannten Befindlichkeiten gesprochen. Es gibt keine Reaktionen oder Diskussionen dazu (diese sind ausdrücklich nicht erlaubt während der Check-in-Runde​).

Das Holacracy-Konzept trennt damit persönliche Befindlichkeiten von der inhaltlichen Arbeit: Die Gefühle werden zwar anerkannt, dominieren aber nicht den weiteren Prozess, sie werden, wie das von Erwachsenen erwartet werden kann, „gehalten“. Wenn aus einer Emotion ein konkretes Anliegen für die Zusammenarbeit entsteht – wie im Beispiel das häufige Zu-Spät-Kommen eines Kollegen – muss dieses formal als „Spannung“ (Tension) eingebracht werden – also als ein zu lösendes Thema auf die Agenda.

Holacracy bietet also implizite Kriterien, um zwischen „oberflächlicher Befindlichkeit“ und „bedeutsamer Emotion“ zu unterscheiden, ohne dies ausdrücklich so zu nennen. Die Check-in-Runde ist der Ort für alle Arten von Stimmungen, unabhängig von deren Tiefe oder Relevanz – hier darf alles kurz geäußert werden, ob wichtig oder banal. Doch anschließend wird der Fokus auf konkrete inhaltliche Spannungen gelenkt. Wenn eine Emotion tatsächlich relevant für die Arbeit ist, taucht sie in Form einer Spannung oder eines Einwands im Meeting auf, nicht als persönliche Befindlichkeit.

Praktische Empfehlungen für den Führungsalltag

Befindlichkeiten wahrnehmen – aber nicht dominieren lassen

Starten Sie Meetings mit einer kurzen Check-in-Runde: Jede Person kann in einem Satz ihre aktuelle Stimmung teilen. So wird die emotionale Lage bewusst, ohne dass sie den Fokus verschiebt.

Emotionen ernst nehmen und gezielt ansprechen

Starke emotionale Reaktionen (z. B. Wut, Frustration) sind oft ein Signal für ungelöste Themen. Reagieren Sie darauf mit aktivem Zuhören: „Danke, dass du das teilst. Ich nehme es wahr.“ „Welches Bedürfnis steckt dahinter? Was brauchst du, von wem?“ So können Sie konstruktive Lösungen finden.

Zwischen Befindlichkeit und relevanter Spannung unterscheiden

Nicht jede Verstimmung braucht eine Reaktion. Doch wenn eine Emotion sich wiederholt oder Einfluss auf die Arbeit nimmt, muss sie thematisiert werden – als eine im System auftretende Spannung, nicht als persönliche Angelegenheit.

Emotionen als Feedback nutzen

Achten Sie auf wiederkehrende Muster im Team: Stimmungsschwankungen können wertvolle Hinweise auf Arbeitsbelastung, Zusammenarbeit oder Motivation sein. Setzen Sie gezielt Impulse, um positive Dynamiken zu verstärken.

Konstruktive Strukturen schaffen

Definieren Sie mit Ihrem Team Regeln für den Umgang mit Emotionen. Zum Beispiel:

  • Keine Schuldzuweisungen, sondern Ich-Botschaften: „Ich fühle mich überfordert, weil…“
  • Klare Trennung von Gefühlen und Entscheidungen
  • Zeitliche Begrenzung emotionaler Diskussionen

Selbstcheck (auch für Teams anwendbar):

Werden Sie von Befindlichkeiten oder von Emotionen geleitet?

1. Wie lange beschäftigt mich dieses Gefühl schon?

Befindlichkeit

Emotion

2. Wird mich dieses Gefühl morgen oder in einer Woche noch beschäftigen?

Befindlichkeit

Emotion

3. Kann ich mein Gefühl „halten“?

Befindlichkeit

Emotion

4. Kann ich ein klares Bedürfnis hinter meinem Gefühl erkennen?

Befindlichkeit

Emotion

5. Wie beeinflusst dieses Gefühl meine Wahrnehmung und Entscheidungen?

Befindlichkeit

Emotion

Erfahren Sie, wie OYA Sie als Führungskraft unterstützen kann:

Stehen Sie vor einer Veränderung in Ihrer Führungsrolle oder möchten Sie Ihre Leadership-Fähigkeiten gezielt weiterentwickeln? Ines Robbers begleitet Sie mit maßgeschneidertem Coaching auf Ihrem Weg zu mehr Klarheit, Souveränität und Wirksamkeit.
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wie Sie Ihr Potenzial als Führungskraft voll entfalten können! Kontaktieren Sie uns gerne per Telefon oder E-Mail – oder vereinbaren Sie direkt ein unverbindliches Erstgespräch über den Buchungsmanager: